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Gesellschaft für bedrohte Völker unterstützt Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin

In einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin haben die Vorsitzende des Zentrums gegen Vertreibungen, Erika Steinbach, MdB und der Generalsekretär der Gesellschaft für bedrohte Völker, Tilman Zülch deutlich gemacht, wie notwendig in Berlin das Zentrum gegen Vertreibungen ist.

Berlin ist eine europäisch geprägte Stadt, in der sich das Schicksal des Kontinents Europa in allen Facetten widerspiegelt. Für Vertriebene unterschiedlicher Völker ist diese internationale Metropole leicht erreichbarer Anlaufpunkt. Aufgrund seiner Lage ist Berlin gleichzeitig Scharnier zwischen dem östlichen und westlichen Europa.

Vertriebene unterschiedlicher Volksgruppen haben durch ihre Anwesenheit ihre Solidarität mit einem Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin bekräftigt.

Anwesend waren Ksenija Bodlovic (Serbin aus Kroatien), Fadila Memisevic (bosnische Muslimin), Sophie Phitidis (griechische Zypriotin), Lisa Bersanowa (Tschetschenin), Dr. Ibrahim Hasani (Roma aus dem Kosovo)), Hans Sonnleitner (Donauschwabe aus dem früheren Jugoslawien).

Die Schicksale dieser alten und neuen Opfer von Vertreibungen zeigen gerade heute am 5. August, dem Jahrestag der Proklamation der Charta der deutschen Heimatvertriebenen 1950, dass sich kaum etwas geändert hat und diese Erfahrungen als Mahnung im kollektiven Gedächtnis behalten werden müssen.
 

Zu den Teilnehmern der Pressekonferenz

Ksenija Bodlovic (Serbin aus Kroatien) ist Mitglied des Serbischen Demokratischen Forums. Bis zum Jahre 1991 hat sie in Petrinja und Sisak (Kroatien) gelebt. 1991 wurde sie von dort vertrieben und ist in die kroatische Krajina (Region Knin) geflüchtet. Bis zur Militäroperation Oluja ("Sturm") hat sie in Dvor am Fluss Una gelebt. 1995 wurde sie durch kroatische Truppen auch von dort vertrieben. Heute lebt sie in Banja Luka in Bosnien Herzegowina. Sie ist 43 Jahre alt, hat ein Kind und möchte nach Petrinja zurückkehren.

Fadila Memisevic (Bosnische Muslimin) war früher Gymnasiallehrerin für Latein und Geschichte. Sie ist Mitgründerin (Frühjahr 1992) des Dokumentationszentrums für Genozid in Zenica, lebte vier Jahre in Göttingen und dokumentierte den Völkermord und die Vertreibung in Bosnien für die Gesellschaft für bedrohte Völker und das Tribunal in Den Haag. Heute ist sie Direktorin der Gesellschaft für bedrohte Völker, Bosnien-Herzegowina. Ihr wurde 1996 der Preis für Frieden und Menschenrechte der gleichnamigen schweizerischen Stiftung aus Bern verliehen, den außerdem auch Boutros Ghali, der Dalai Lama und Jehudi Menuhin erhielten. Sie initiierte die Mütterbewegung in Srebrenica, half bei der Gründung der Sektion der weiblichen ehemaligen Lagerinsassen und vergewaltigten Frauen in Bosnien-Herzegowina, führte Zeugenbefragungen von Kosovoflüchtlingen durch und übergab das Material dem Tribunal in Den Haag.

Sophie Phitidis (Griechische Zypriotin) ist Menschenrechtlerin und Vertriebene aus dem türkisch besetzten Famagusta. Sie engagiert sich für die Rückkehr vertriebener griechischer wie türkischer Zyprioten in ihre Heimatorte.

Lisa Bersanowa (Tschetschenin) ist tschetschenische Akademikerin. Sie lebt als Flüchtling in Nürnberg und vertritt die Bewegung der tschetschenischen Flüchtlinge und Vertriebenen in Deutschland.
Dr. Ibrahim Hasani (Roma aus dem Kosovo) setzte sich als Arzt gemeinsam mit seiner Tochter (Krankenschwester) für albanische Vertriebene in Flüchtlingslagern in Mazedonien ein. Zurückgekehrt erlebte er mit 120.000 Landsleuten die Vertreibung durch albanische Extremisten. Er ist einer der beiden Sprecher des Forums der vertriebenen Roma und Aschkali aus dem Kosovo und wird von vielen deutschen Behörden als Vertrauensmann der beiden Volksgruppen in Anspruch genommen.

Hans Sonnleitner (Donauschwabe) Vorsitzender der Donauschwäbischen Kulturstiftung, hat Vertreibung, Völkermord und Lagerhaft persönlich erlebt. Er war als Kind von 1945 bis 1947 wegen seiner deutschen Volkszugehörigkeit in verschiedenen Vernichtungslagern im Banat ( heute Vojvodina, Republik Jugoslawien) eingesperrt. Danach absolvierte er in Deutschland ein wirtschaftswissenschaftliches Studium und arbeitete als Abteilungsdirektor und Prokurist bei Siemens. Er gründete den Verlag der Donauschwäbischen Kulturstiftung, dessen Leitung er bis heute wahrnimmt. Er ist selbst Verfasser mehrerer Bücher zur Geschichte der Donauschwaben, insbesondere der Vertreibung dieser Volksgruppe.
 

PRESSEERKLÄRUNG

Berlin/Göttingen, den 5. August 2002
 

Gegen Vertreibung: Vermächtnis der deut-schen Opfer von gestern ist der Einsatz für die Opfer von heute

Für die Errichtung eines Zentrums gegen Vertreibungen in Berlin plädiert nachdrücklich die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Denn noch immer würden Vertreibungen auch im Europa des 21. Jahrhunderts kaum als ein den einzelnen Menschen wie auch ganze Völker zutiefst traumatisierendes Unrecht wahrgenommen, kritisierte der Generalsekretär und Gründer der Menschenrechtsorganisation, Tilman Zülch, am Montag auf einer Pressekonferenz der Stiftung Zentrum gegen Vertreibung in Berlin. "Vertreibung wird vielmehr totgeschwiegen, verdrängt und so langsam hoffähig gemacht: Heute wird selbst in Europa wieder hingenommen, dass Minderheitenprobleme auf unserem Kontinent durch Vertreibung gelöst werden. Dabei verstößt dies eindeutig gegen anerkanntes Völkerrecht wie die Allgemeine Erklärung für Menschenrechte oder die IV. Genfer Konvention zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten."

"Dieses Zentrum in Berlin ist gerade für die Opfer gegenwärtiger Vertreibungen von großer Bedeutung, denn die europäischen Regierungen bekämpfen dieses Verbrechen weder entschieden noch setzen sie sich energisch für eine Rückkehr der Vertriebenen ein", sagte Zülch. Er erinnerte an die rund 4,3 Millionen aus Mitgliedsstaaten des Europarats bzw. aus dem von Nato-Truppen kontrollierten Kosovo Vertriebenen, die bis heute auf die Möglichkeit einer Rückkehr in ihre Heimatorte warteten. Unter ihnen sind 200.000 griechische und türkische Zyprioten (seit 1974), 2,5 Millionen türkische Kurden (seit 1990), 800.000 Bosnien (seit 1992), 300.000 Tschetschenen (seit 1994), 150.000 Krajina-Serben (seit 1995), 300.000 kosovarische Serben, Roma und Aschkali (seit 1999). Diese würden entweder durch Regierungen und Behörden an einer Rückkehr gehindert oder scheuten aus Angst vor erneuten Übergriffen ihrer Verfolger davor zurück.

Gegründet und betrieben von deutschen Vertriebenen für Vertriebene könnte das Zentrum in Berlin einen wesentlichen Beitrag zur weltweiten Ächtung von Vertreibung leisten und sich daran beteiligen, die Verabschiedung einer "Erklärung über Bevölkerungstransfers" durch die UN-Generalversammlung voranzutreiben, hofft der GfbV-Generalsekretär. Einen Entwurf für diese Erklärung hat es bereits 1997 gegeben. Die anhaltende Tabuisierung vieler Vertreibungen und Deportationen des vergangenen Jahrhunderts in Europa habe Folgen weit über den Kontinent hinaus, bedauerte Zülch. So registrierten nicht nur europäische Regierungen beinahe untätig das unsägliche Leid ganzer Völker, sondern auch die internationale Gemeinschaft. Durch den Begriff "ethnische Säuberung" sei die Vertreibung der nichtserbischen Bevölkerung unter dem jugoslawischen Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic und dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic im multikulturellen Bosnien-Herzegowina beschönigend umschrieben worden.

Mehr als 15 Millionen Menschen hätten durch die Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa 1945 bis 1948 ihre Heimat verloren; drei Millionen von ihnen seien während oder als Folge der Vertreibung und der "ethnischen Säuberung" von über 10.000 Weilern, Dörfern und Städten ums Leben gekommen. Die weitgehende Verdrängung dieser Massenvertreibung von Deutschen habe innerhalb der deutschen Bevölkerung jedoch nicht dazu geführt, das Leid der Opfer aktueller Vertreibungen vom Tisch zu wischen, meinte Zülch. Die große Bereitschaft, während des Bosnienkrieges 1992 bis 1995 rund 360.000 bosnische Vertriebene aufzunehmen, habe das Gegenteil bewiesen: Mitleid, Solidarität und Unrechtsbewusstsein.