Aktuelles

Ein nationales und ein europäisches Anliegen

Die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirates und Unterstützer des ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN geben zur aktuellen Debatte folgende Erklärung ab:

Dr. Peter Becher
Historiker, Adalbert-Stifter-Verein München
Prof. Dr. Dieter Blumenwitz
Völkerrechtler, Univ. Würzburg u. Hochschule für Politik München
Dr. Axel Frhr. v. Campenhausen
Öffentlichrechtler, ehem. Vorsitzender Bundesverband Deutscher Stiftungen e.V.
Joachim Gauck
Theologe und Bürgerrechtler
Prof. Dr. Bernhard Graf
Diplompädagoge, Leiter Institut f. Museumskunde Berlin
Dr. Otto v. Habsburg
Publizist
Dr. Helga Hirsch
Publizistin
Prof. Dr. Eckart Klein
Völkerrechtler, Direktor Menschenrechtszentrum Potsdam
Prof. Dr. Guido Knopp
Historiker, Leiter ZDF-Zeitgeschichte
Freya Klier
Schriftstellerin, Dokumentarfilmerin
Prof. Dr. György Konrad
Schriftsteller, ehem. Präsident Akademie der Künste
Prof. Dr. Rudolf Kucera
Politikwissenschaftler, Karlsuniversität Prag, Tschechien
Dr. Otto Graf Lambsdorff
Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung
Prof. Dr. Horst Möller
Historiker, Direktor Institut für Zeitgeschichte München
Prof. Dr. Christoph Pan
Sozialwissenschaftler, Direktor Südtiroler Volksgruppen-Institut, Italien
Prof. Dr. Julius H. Schoeps
Historiker, Direktor Moses Mendelssohn Zentrum Berlin
Prof. Dr. Peter Scholl-Latour
Journalist
Prof. Dr. Christoph Stölzl
Historiker, Vizepräsident Berliner Abgeordnetenhaus
Prof. Dr. Christian Tomuschat
Völkerrechtler, Humboldt Universität Berlin
Dr. Werner Wolf
Historiker
Prof. Dr. Michael Wolffsohn
Historiker, Bundeswehruniversität München
Prof. Dr. Alfred-Maurice de Zayas
Völkerrechtler, Generalsekr. PEN-Club Genf, Schweiz
Tilman Zülch
Vorsitzender Gesellschaft f. bedrohte Völker Göttingen

Die augenblickliche Debatte über die im September 2000 gegründete Stiftung ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN zeigt nicht nur die Aktualität des Anliegens, sondern weist auch eine Bruchlinie der Argumentation auf, die quer durch alle Parteien läuft. Als Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats und Unterstützer des ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN begrüßen wir die lebhafte Diskussion. Sie trägt dazu bei, weitere Kreise über diese Stiftung zu informieren und in einen demokratischen Prozess der Meinungsbildung einzubinden. Allerdings zeigt die Diskussion, wie tief alte Vorurteile sitzen und wie schwer es vielen Kritikern fällt, Unterstellungen und Verdächtigungen zu unterlassen.

Es erstaunt uns, dass das Angebot, sich an der wissenschaftlichen Erarbeitung des endgültigen Konzepts zu beteiligen, nicht aufgegriffen wird. Stattdessen wird ein künstlicher Gegensatz von „nationaler“ und „europäischer“ Ausrichtung konstruiert und als Scheinargument gegen das Zentrum gerichtet. Gerade das Grundkonzept des ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN hat die europäische Dimension vorgesehen und geht sogar darüber hinaus.
Es wäre ausgesprochen bedauerlich, wenn ein Vorhaben, das Sensibilität und Umsicht verlangt, zum Gegenstand rivalisierender Initiativen würde. Der Gegensatz zwischen einem nationalen und einem europäischen Zentrum hilft schon deshalb nicht weiter, weil das Zentrum mehr ist: eine nationale und eine internationale Angelegenheit. Wir wünschen uns einen Konsens über folgende Punkte:

1. Das ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN ist zunächst eine innenpolitische Angelegenheit Deutschlands. Es geht darum, den deutschen Vertriebenen jenes Maß an Mitgefühl zu signalisieren, das ihnen in den letzten Jahrzehnten weitgehend verweigert wurde. Die Vertreibung war, wie auch Karl Schlögel in der ZEIT schrieb, „eine der gravierendsten Erfahrungen der Deutschen im 20. Jahrhundert ... Diese Geschichte darf nicht ausgelagert werden, sondern muss im nationalen Gedächtnis einen zentralen Platz einnehmen“. Darüber hinaus soll deutlich werden, wie sich Deutschland durch den Zustrom von 12 Millionen Vertriebenen und 4 Millionen Spätaussiedlern verändert hat, wie die Integration gelingen konnte.

2. Der Bund der Vertriebenen hat mit seinem Vorgehen eine Öffnung signalisiert, welche den Blick über das Leid der deutschen Vertriebenen hinauslenkt und die Zusammenarbeit mit Fachleuten aus Deutschland und den Nachbarländern sucht. Das wird an der Zusammensetzung des Wissenschaftlichen Beirats und der Jury zur Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises deutlich. Diese Öffnung sollte nicht durch Verdächtigungen behindert, sondern durch die Bereitschaft zur Zusammenarbeit gefördert werden.

3. Wer die Aufgabe des Zentrums auf die Anprangerung oder Entlastung von Tätern reduziert, unterliegt einem Irrtum. Ein ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN muss den Kontext der Vorgeschichte aufarbeiten, das ganze Zusammenspiel von ethnischen „Säuberungen“. Diese Zusammenhänge sollten, wie Götz Aly in der Süddeutschen Zeitung ganz in unserem Sinne meinte, in dem Zentrum „sichtbar gemacht und sorgfältig differenziert werden. So konzipiert entstünde ein Ort historischer Aufklärung von übergreifender Wirkung.“ Aus diesem Grund ist die kritische Zusammenarbeit von Fachleuten unerlässlich und von der Stiftung von Anbeginn gewollt.

4. Diese Zusammenarbeit kann, gerade weil es sich nicht um ein nationales Phänomen handelt, nur adäquat umgesetzt werden, wenn sich Fachleute aus mehreren von Vertreibung betroffenen Ländern daran beteiligen. Die offene Darstellung der Vertreibung und ihre Einordnung in den europäischen Kontext des 20. Jahrhunderts ist eine vielschichtige Aufgabe, die von Historikern, Völkerrechtlern, Politikern, Journalisten, Lehrern, Betroffenen u.a. gemeinsam geleistet werden muss. Das kann dazu führen, dass neben Berlin als deutschem Standort in unseren Nachbarländern möglichst zahlreich gleichartige Einrichtungen entstehen. Daraus könnte ein Gemeinschaftswerk für Menschenrechte und Völkerverständigung werden.

5. Neben dem Mitgefühl mit den Vertriebenen und der Aufarbeitung des ganzen Komplexes der ethnischen „Säuberungen“ - beides nicht nur nationale, sondern europäische und auch weltweite Anliegen - sollte die aktuelle Bedeutung eines ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN nicht vergessen werden. Vertreibungen finden weltweit statt, nicht nur in Europa. Insofern kommt der Sensibilisierung für ihre Schrecken und Folgen höchste Bedeutung zu. Vertreibungen als Möglichkeit der Politik zu ächten und ihre Praxis zu verhindern, wo immer dies geht, ist der vornehmste Zweck einer solchen Einrichtung.

Dies erfordert Mitgefühl, seriöse Information und abwägendes Urteil. Stereotype Unterstellungen und die Wiederholung alter Vorurteile sind dem Ernst dieses Anliegens in keiner Weise angemessen. Wir laden die Skeptiker und Gegner der Stiftung ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN zu einem ernsthaften Gedankenaustausch mit uns ein.
Wir sind dazu bereit.