Aktuelles

Ausstellungseröffnung Angekommen - Die Integration der deutschen Heimatvertriebenen

Rede
Erika Steinbach MdB
Vorsitzende der Stiftung
ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN
zur Ausstellungseröffnung in Berlin
Paul-Löbe-Haus, Deutscher Bundestag
am 25. Oktober 2011, 14.00 Uhr

Herr Präsident,
meine Damen und Herren Abgeordnete,
Exzellenzen,
verehrte Anwesende,

Flucht und Vertreibung von 12 bis 15 Millionen Deutschen bis weit nach Ende des Zweiten Weltkrieges gehören zu den größten Bevölkerungsumbrüchen in unserer deutschen und auch europäischen Geschichte.

Niemals seit dem Dreißigjährigen Krieg sind die demographischen und auch konfessionellen Verhältnisse dermaßen umgewälzt worden.
Nur die wenigsten begriffen bereits in den 1950er Jahren, was die Vertreibung und die Aufnahme Millionen Ost-, Sudeten- und Südostdeutschen für dieses Land bedeuteten.

Der Soziologe Eugen Lemberg beschrieb bereits 1950 den oftmals konfliktreichen von Not und Mangel bestimmten Prozess dieses zwangsweisen Miteinanders als die Entstehung „eines neuen Volkes aus Binnendeutschen und Ostvertriebenen“. Also gewissermaßen als Ethnomorphose.

Rückblickend können wir festhalten, „per aspera ad astra“. Nach schwierigsten Anfangszeiten haben wir zueinander gefunden.

Der Weg bis dahin war gepflastert mit menschlichen Härten, Spannungen zwischen Alteingesessenen und Vertriebenen, ja teils brutaler Ablehnung. Die Eingliederung der Vertriebenen war keine lineare Erfolgsgeschichte, sonder für viele zunächst eine zusätzliche bittere Leidenserfahrung.

Kaltherzig ignorierten viele, dass Münchner, Leipziger, Hamburger oder Berliner nicht vertrieben wurden, selbst wenn sie fanatische Nationalsozialisten gewesen waren.

Das „unsichtbare Fluchtgepäck“ der Vertriebenen, wie es die sudetendeutsche Dichterin Gertrud Fussenegger sehr treffend bezeichnete, hat Deutschland nachhaltig geprägt. Ihr technisches, handwerkliches oder akademisches Potenzial, auch ihre teils achthundertjährige kulturelle Erfahrung im Neben- und Miteinander mit ihren slawischen, ungarischen, baltischen oder rumänischen Nachbarn, all das hat Deutschland nachhaltiger geprägt als uns heute wirklich bewusst ist.

Alfred Grosser hat die Integration der Vertriebenen als größte sozial- und wirtschaftspolitische Aufgabe bezeichnet, die je von Deutschland gemeistert worden sei.

Die Eingliederung der Vertriebenen ist heute sozial weitestgehend gelungen und Teil der Nachkriegserfolgsgeschichte unseres Landes. Der wichtigste Grund warum sie gelang:
Die Heimatlosen haben keine Rachegedanken kultiviert, sondern immer wieder manifestiert, dass sie ein neues Miteinander wollen, auch mit denen, durch die sie vertrieben wurden. Ein friedliches Miteinander der Völker Europas war ein frühes Ziel, für das sie sich engagierten.
Und sie haben sich von Anbeginn politisch eingemischt und engagiert.

Dieses Gebäude, das Paul-Löbe-Haus, in dem die heutige Ausstellung eröffnet wird, ist geradezu ein Symbol dafür.

Der frühere Reichstagspräsident Paul Löbe wurde im Sommer 1945 aus Schlesien vertrieben. 1948/49 gehörte er für die SPD dem Parlamentarischen Rat an und war von 1949 bis 1953 Mitglied des Deutschen Bundestages. Namen wie Herbert Hupka, Herbert Czaja, Erich Mende oder der Ostpreuße Rainer Barzel aber auch in jüngerer Zeit Wolfgang Thierse finden sich in den Analen dieses Hauses. Sie alle und viele mehr hatten ihre Heimat im früheren deutschen Osten.

Die meisten Vertriebenen und auch Spätaussiedler haben inzwischen neue Wurzeln geschlagen. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass bis heute zahllose Vertriebene von ihren traumatischen Erlebnissen immer wieder eingeholt werden.

Diese Ausstellung und der Ort an dem sie eröffnet wird, sind ein Signal des Verstehens und Mitgefühls.

Deshalb, sehr geehrter Herr Präsident, lieber Norbert Lammert, dankt der Bund der Vertriebenen mit seiner Stiftung ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN sehr herzlich dafür, dass diese Ausstellung zur Integration der Vertriebenen hier ihre Premiere haben kann, bevor sie ihre Reise durch Deutschland antritt.