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Ansprache anlässlich der Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtrspreises am 6. November 2016 in der Paulkriche, Frankfurt am Main

Erika Steinbach MdB, Vorsitzende der Stiftung

Sperrfrist: 6. November 2016, 12.00 Uhr.
Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, lieber Uwe Becker,
sehr verehrte Ehrengäste aus Gesellschaft und Politik,
sehr geehrte, liebe Frau Tekkal,
insbesondere aber liebe Freya Klier,
sehr geehrte Damen und Herren,

es ist inzwischen gute Tradition, dass wir den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis in der Frankfurter Paulskirche alle zwei Jahre verleihen.

Auch in diesem Jahr müssen wir erkennen, dass Menschenrechte weltweit zunehmend notleidend sind, dass sie in zu vielen Teilen der Welt in steigendem Maße mißachtet und gebrochen werden, obwohl die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte deutlich macht, dass Menschenrechte allgemeingültig sind, dass jedem Menschen diese Rechte zustehen. Die  Würde des Menschen ist unantastbar, hat unser Grundgesetz so wunderbar verankert.
Auf nationalen und  internationalen Konferenzen werden diese hehren Grundsätze beständig betont und eingefordert. Zumeist bedrückend folgenlos.
Menschenrechte!
Eine leider zu häufig als opportune Worthülse gebrauchte Vokabel um sich selbst zu adeln.

Die Realität zeigt uns ganz brutal tagtäglich, dass Papier geduldig ist. In weiten Teilen der Welt zählt die Würde des Einzelnen nichts. Direkt vor Europas Haustür werden Menschen gedemütigt, gefoltert, bewußt gequält und ermordet.
Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs gab es vielfach die fast euphorische Hoffnung auf eine bessere, eine friedlichere Welt.
Erfüllt haben sich diese Hoffnungen höchstens partiell.

Sollen wir resignieren, weil erkennbar ist, dass der Mensch zu jedweder Brutalität fähig ist?
Nein, und nochmals nein! Das wäre eine Kapitulation vor dem Bösen!

Wir müssen immer und immer wieder benennen, was es an Gutem aber auch an Ungutem in der Geschichte der Menschheit gegeben hat und gibt.
Wir dürfen nicht aufhören zu mahnen und zu helfen soweit es möglich ist. Und diese Hilfe muss zuerst und unabdingbar bedrängten Menschen ermöglichen, in ihrer Heimat bleiben zu können.
Da gibt es viel Nachholbedarf. Viel zu lange wurde weggesehen, die Augen verschlossen vor dem was sich entwickelte. Und zwar auf allen Ebenen.
Wir müssen uns vor Augen führen:
weltweit waren Ende 2015 ca. 65 Millionen Menschen auf der Flucht. Gegenüber 2011, als der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge mit 42,5 Millionen Flüchtlingen schon eine neue Rekordzahl vermeldete, ist die Zahl der Flüchtlinge damit um mehr als 50 Prozent gestiegen.
Erweitert man den Blick über die Gruppe dieser  tatsächlichen Flüchtlinge hinaus um alle Migranten, zeigen die Prognosen weit dramatischere Bewegungen.

Wer auch immer  glaubt, dass das Elend dieser Welt in Europa oder gar in Deutschland zu beheben sei, dem empfehle ich einen Blick auf den Globus. Dann wird schnell klar, dass unsere Möglichkeiten selbst bei noch so weitem Herzen begrenzt sind, um es mit den treffenden Worten des Bundespräsidenten auszudrücken.

Wer nicht will, dass Europa früher oder später überfordert, überrollt wird, der muss unverzüglich die Hilfe in den Krisenregionen intensivieren.
Dazu ist es unabdingbar nötig, die Afrikanische Union und die Arabische Liga an ihre Verantwortung den eigenen Menschen gegenüber zu erinnern, ja die Hilfen daran zu knüpfen.
Wenn wir unsere Demokratie, wenn wir unsere Werte bewahren wollen, dann führt kein Weg daran vorbei, den Millionen Bedrängten in ihrer Heimatregion zur Seite zu stehen.
Ich bin der festen Überzeugung: wenn Deutschland, wenn Europa, wenn die demokratischen Staaten dieser Welt nicht gemeinsam alles tun, um massenhaftes Elend am Entstehungsort einzudämmen und zu lindern, dann werden wir früher oder später bei uns im Lande selbst die Folgen noch dramatisch stärker als bisher zu spüren bekommen.
Die pure Not und verlockende Versprechungen krimineller Schlepperbanden werden die Menschen hierhertreiben.
Das aber würde unsere Demokratie aus den Angeln heben und unsere kulturelle Identität gefährden.

Unser Menschenrechtspreis knüpft an Franz Werfels literarische Verarbeitung des ersten Genozids im 20. Jahrhundert an:
dem Völkermord an den Armeniern,  aber gleichzeitig auch an den Aramäern und Chaldäer, also alle Urchristen im Osmanischen Reich.
Nicht ohne Grund ging bei unserer ersten Preisverleihung im Jahre 2003 der Preis an Miran Dabagh, für seine Forschungen über diesen Genozid. Mein Freund Ralph Giordano hat damals in seiner tief anrührenden Rede dieses Verbrechen beklemmend aufgeblättert.
Anläßlich der 100. Wiederkehr des Genozids hat der Deutsche Bundestag im vorigen Jahr daran erinnert und in diesem Jahr nach sehr langen Beratungen gegen heftigste Proteste aus der Türkei eine Resolution dazu verabschiedet.
Ein guter Beschluss – eigentlich!
Wenn, ja wenn nicht während der Debatte die Plätze der Bundesregierung im Plenarsaal des Deutschen Bundestages  weitestgehend beschämend leer geblieben wären und zudem eilig  seitens der Bundesregierung der Türkei  versichert worden wäre, dass der Bundestagsbeschluss rechtlich unverbindlich sei..

Wie können wir  glaubhaft und erfolgreich für Menschenrechte fechten und uns dafür einsetzen, wenn nicht einmal in unserer Demokratie der Mut und die Überzeugung vorhanden sind, ein weit zurückliegendes furchtbares Geschehen als das zu benennen was es war?

Sie, liebe Freya Klier, haben sich ein elftes Gebot zueigen gemacht, das da lautet:
DU SOLLST DICH ERINNERN !!

Das galt Ihnen nicht nur für den dunklen Teil unserer eigenen deutschen Geschichte einschließlich des DDR-Unrechtssystems.
Sondern sie haben alle Facetten der Menschenverachtung und des Unrechts mit großem Engagement immer absolut furchtlos ausgeleuchtet, selbst wenn Sie Furcht hatten.

Dafür, meine Damen und Herren, hat Freya Klier in ihrem Leben immer wieder einen hohen Preis zahlen müssen.
Wer jemals das ehemalige Stasigefängnis Hohenschönhausen besichtigt hat, mag eine Ahnung gewonnen haben, was es bedeutet, dort inhaftiert gewesen zu sein. Aber auch nur eine Ahnung.

Freya Kliers Dokumentationen über verschleppte, vergewaltigte und schließlich als Zwangsarbeiterinnen missbrauchte deutsche Frauen und über die Schicksale ostpreußischer Kinder zeigen auf, dass mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Ende des Nationalsozialismus Menschenrechte nach wie vor keine universelle Gültigkeit hatten.

Zugleich sind diese Dokumentationen erschreckend heutig.
Frauen und Kinder sind immer wieder die hilflosesten Opfer auch in den aktuellen kriegerischen und terrorristischen Auseinandersetzungen.
Aus dem Nahen Osten erreichen uns tagtäglich Berichte und Bilder, die der Welt beklemmend vor Augen führen, dass Menschenrechte tausendfach mit Füßen getreten werden.
Zu denen, die das aktuell dokumentiert haben gehört die Laudatorin  unserer heutigen Preisverleihung, Düzen Tekkal. Deren anrührender Film „ Hawar -  Reise in den Genozid“ über das Schicksal der Jesiden im Irak führt vor Augen, mit welch ungeheurer Brutalität IS-Terroristen dort wüten.

Die Schicksale von Menschen gestern und heute berühren jeden tief,  der sich ihrer aufgeschlossen annimmt.
Gleichzeitig werden bei ehemals deutschen Opfern Erinnerungen und Traumata durch die Bilder  der in diesen Tagen getöteten  Kinder und geschundenen Frauen wach.
Nicht von ungefähr helfen zahlreiche deutsche Heimatvertriebene den Migranten von heute. Aus eigenem Erleben wissen sie was Heimatverlust,  Erniedrigung und Gewalt bedeuten.

Mit der Entscheidung unserer Jury, den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis 2016 Freya Klier zu verleihen, will das ZGV auf das Schicksal von Frauen und Kindern in Kriegssituationen und deren Folgen in der Mitte das 20. Jahrhunderts  erinnern und gleichzeitig mahnen.